Seit letzter Woche habe ich die offizielle Zulassung, Menschen gegen Corona zu impfen. Die erste
Frage, die mir von Kolleg:innen gestellt wird, ist immer, warum ich mir das antun will.
Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Der erste ist, als Landesvorsitzende mit gutem Beispiel voran zu
gehen, wenn der bpt versucht, eine Impfberechtigung für Tierärzte durchzusetzen. Das habe ich
schon voriges Jahr so gehalten, als das NRW Gesundheitsministerium anfragte, ob wir Tierärzte
wohl bei der nationalen Coronatest Strategie mithelfen würden. Ich habe geantwortet, wir
Tierärzte seien uns unsere gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. Und daher habe ich dann
auch eine kleine Teststelle in meiner Praxis eingerichtet. Diese wurde insbesondere von
Dorfbewohnern, die zu Fuss kommen konnten, aber auch vielen anderen zu den Zeiten, wo alle
anderen immer zu haben, gern angenommen und es hat mir keine besonders grosse Mühe
bereitet. So war es für mich auch keine Frage, dass ich den Schein zum Impfen machen würde.
Das zweite Argument ist, dass es mich frustriert, wie im Vergleich zu Ländern wie Dänemark bei
uns wenig investiert wird, um die 25% ängstlichen, gleichgültigen oder aktive Impfverweigerer zur
Impfung zu bewegen. Diese Menschen erreicht man nur durch direkte Ansprache und
niederschwellige Angebote vor Ort. Diejenigen, die die Impfung wollen, die mit einem Online
Kalender umgehen können und die an den normalen Öffnungszeiten von Arztpraxen und
Impfzentren nicht arbeiten müssen, haben wir schon erreicht. Ich wäre bereit, mit einem Impfmobil
vor dem Aldi oder der Hochhaussiedlung zu stehen, mich Diskussionen auszusetzen und
Skeptiker zu überzeugen. Wäre ich in Baden-Würtemberg, würde ich vor Waldorf Schulen stehen
wollen.
Der Weg zur Impferlaubnis ist nicht besonders schwierig. Die theoretische Fortbildung fand ich
allerdings nur so lala. 5 Stunden aufgezeichnete Vorträge und Podcasts (!) anhören, die
überwiegend vor Omikron aufgezeichnet worden waren, stellten Anforderungen an die Geduld.
Sie waren überwiegend sehr allgemein und mit juristischem Schwerpunkt. Auf das Praktikum
fühlte ich mich eher nicht vorbereitet.
Das Praktikum im Impfzentrum, hingegen, war eine durch und durch positive Erfahrung. Ich habe
dies im Nachbarkreis absolviert, denn die Verantwortlichen in meinem Kreis hatten mir auf ein
Angebot, in Impfzentren oder mobilen Impfteams mitzuarbeiten, schon deutlich gemacht, dass
kein Interesse bestünde.
Das Impfteam war sehr nett und hatte überhaupt keine Vorbehalte, und all den Kolleg:innen, die
meinen, es sei eine Frechheit, dass Tierärzte ihre Eignung überhaupt nachweisen müssten, sei
gesagt, es gibt eine Menge zu beachten. Die mRNA-Impfstoffe müssen sehr pfleglich behandelt
werden, aufschütteln ist streng verboten, ebenso wie über-Kopf-halten der Ampullen beim
Aufziehen. Zudem wird der normale Verlust im Totraum von Spritzenkonus und Kanüle durch
Aufziehen einer kleinen Menge von Luft vor dem Aufziehen des Impfstoffes vermieden.
Der Papierkram ist auch nicht unwesentlich, auf das Alter, und die medizinische Vorgeschichte ist
zu achten, sowie dass alle Impflinge ihre Kreuze an der richtigen Stelle gesetzt haben. Z.B. dürfen
unter 30-jährige nicht mit Moderna geimpft werden wegen des Risikos von Kardiomyopathien,
und auch alle anderen müssen beraten werden, dass sie keine körperlichen Höchstleistungen in
den Tagen nach der Impfung anstreben sollen. Unter 12-jährige dürfen nur von Kinderärzten
geimpft werden. Und natürlich muss man fragen, ob alles klar sei, und alle Fragen beantworten
können.
Was mich am meisten beeindruckt hat ist, wie einfach es ist, Menschen zu impfen. Das betrifft
noch nichtmal so den technischen Aspekt, sondern die ganze Arbeitsatmosphäre. Man muss
natürlich steril arbeiten und die Anatomie auch bei etwas dickeren Armen parat haben, aber
technisch ist es unkompliziert.
Es ist unglaublich angenehm zu arbeiten, wenn Patient und Arzt dasselbe wollen. Die zu
impfenden Menschen waren durchweg nett und höflich. Ich hatte in 4 Stunden impfen nicht eine
Person, die auf die Frage, ob es in Ordnung sei, dass eine Tierärztin impfe, ablehnend reagiert
hat. Das mag Zufall sein, aber auch insgesamt hatten wir zwei Tierärztinnen nur 3 Personen, die
die einen „richtige“ Arzt vorzogen. Die Impflinge hielten alle still, zackerten nicht rum, antworteten
alle, dass sie es kaum oder gar nicht gemerkt hätten, bedankten sich und wünschten uns ein
schönes Wochenende.
Dabei ist mir aufgefallen, welchem subtilen Druck wir alle immer ausgesetzt sind, weil wir unseren
Patientenbesitzern immer etwas verkaufen müssen. Bei guten Stammkunden kann das einfach
sein, bei finanziell angespannten Kunden und komplizierten Erkrankungen kann das extrem nervig
sein, und man muss oft den medizinischen Anspruch herunterschrauben auf die zweit- oder
drittbeste Lösung. Jedenfalls aber ist es eine Situation des Verkaufens und Rechtfertigens, die
bei der einvernehmlichen, kostenfreien Impfung völlig entfällt. Das war eine ganz neue Erfahrung
für mich, die mir eine neue Dimension des burn-out Problems in unserem Berufsstand vor Augen
geführt hat.
Dennoch bin ich guten Mutes, auch in einem lokalen Impfteam ängstliche oder skeptische
Menschen zur Impfung motivieren zu können.