Landesverband praktizierender Tierärztinnen und Tierärzte Niedersachsen und Bremen e.V.

Da aus dem Kollegenkreis Interesse an Erfahrungen aus Kammerbezirken geäußert wurde, in denen es einen organisierten Kleintier-Notdienst gibt, möchten hier zwei „Betroffene“ von ihrer Sicht der Dinge berichten. Die Praxisstrukturen sind ähnlich, beides 2-Frau-Kleintier-Gemeinschaftspraxen, die geografische Lage aber ganz unterschiedlich, einmal mittig in Schleswig-Holstein und einmal in Randlage dicht bei Hamburg und an der Elbe – und das spielt für das Funktionieren des Systems eine Rolle, wie sich zeigt.

Seit dem 03.01.2022 hat die Tierärztekammer SH aus gegebenem Anlass einen Zwangs-Kleintiernotdienst verordnet.

Laut Berufsordnung sind alle in Kleintierpraxis niedergelassenen TierärztInnen zum Notdienst verpflichtet. Die Größe der Praxen und die Anzahl ihrer tierärztlichen Mitarbeiter in Vollzeitäquivalenten spielen keine Rolle. Das führt dazu, dass die InhaberInnen kleiner Praxen ohne angestellte TÄ genauso viele Dienste wahrnehmen müssen wie große Praxen mit mehreren angestellten TÄ, bei denen die Notdienste auf mehr Köpfe verteilt werden können – dieser Umstand wird allgemein als ungerecht empfunden. Juristisch ist zur Zeit aber keine andere Regelung möglich. Analog stellt das System auch Gemischtpraxen mit mehreren Inhabern, aber nur geringem Kleintieranteil vor Probleme.

Das Land wurde in 11 Bezirke mit möglichst homogener Verteilung an Tierarztpraxen aufgeteilt . Innerhalb der Bezirke wurden die Notdienste auf die niedergelassenen KollegInnen verteilt. Ein   Algorithmus weist für 365 Tage im Jahr die 24-Stundendienste nach einem Punktesystem zu, jede Praxis hat von 8 Uhr morgens bis zum nächsten Morgen um 8 Uhr Dienst. Vorab angegebene Urlaubszeiten werden bei der Einteilung berücksichtigt. Dienste zu tauschen oder abzugeben ist flexibel und kurzfristig möglich. Jeder Wochentag zählt 1, Samstag 2 , Sonn- und Feiertage 3 Punkte. Rechnerisch sind niedergelassene KollegInnen einmal monatlich eingeteilt.

Die Tierbesitzer wählen eine zentrale Notdienstnummer und werden aufgrund ihrer Festnetz-Vorwahl oder einer einzugebenden Postleitzahl bei Mobilnummern mit der nächstliegenden Praxis verbunden. Das System funktioniert im gesamten Hamburger Speckgürtel allerdings nicht, da die Gemeinden Hamburger 040-Vorwahlen haben und die Entfernung zur diensthabenden Praxis ab Mittelpunkt des Vorwahlgebietes bestimmt wird, also etwa ab Binnenalster.

Christine Niemeyer, Geesthacht:

Wir betreiben unsere Kleintierpraxis in Geesthacht seit 1992 zu zweit, haben 6 Tage die Woche geöffnet. Nur an Sonn- und Feiertagen bleibt geschlossen. Wir sind stolz darauf, in 30 Jahren keine einzige Sprechstunde ausgesetzt zu haben.

Die ersten 10 Jahre haben wir 24/7 Notfallbereitschaftsdienst geleistet. Danach gab es im Umkreis ausreichend Tierkliniken, die in der Nacht oder am Sonntag auftretende Notfälle versorgten, so dass wir nur noch unsere jeweiligen aktuell schwerkranken Patienten auch außerhalb der Praxiszeiten betreuen.

Jetzt können oder wollen selbst große Kliniken den 24/7 Dienst nicht mehr leisten, da dieser sich bei bestehendem Fachkräftemangel und unter Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes nicht wirtschaftlich realisieren lässt.

Für einen Notdienst, der seinen Namen verdient und in dem tatsächliche Notfälle medizinisch korrekt versorgt werden, muss ein Team aus mindestens einer TierärztIn und einer TFA einsatzbereit sein. Diese ist  im Falle von Streitigkeiten mit Tierbesitzern auch als Zeugin wertvoll und zur Gewährleistung der persönlichen Sicherheit sowieso – wir sind nicht bereit, nachts alleine zu arbeiten. Bei in den Wohnhäusern gelegenen Praxen sind zumindest Angehörige in der Nähe, unsere Praxis liegt 15 km von unseren Wohnorten entfernt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es sich in einschlägigen Kreisen herum gesprochen hat, dass Tierärztinnen (mit Zugang zu BTM und Bargeld) auf Abruf durch jedermann nachts alleine in ihre Praxen eilen.

Unsere 2er-Gemeinschaftspraxis muss 2022 durchschnittlich alle 2 Wochen einen 24-Stunden-Dienst leisten um an 23 Notdiensttagen 32 Punkte zu erreichen.

Dies ist bei 2 Tierärztinnen und 3 TFAs nur möglich, wenn alle voll einsatzfähig sind, zu Urlaubs- und Krankheitszeiten ist kein gesetzeskonformer Dienst realisierbar. Es entstehen Notdienststoßzeiten, in denen wir an die Grenzen der psychischen und physischen Belastungsfähigkeit kommen, so z.B. vor und nach den Sommerferien mit Diensten in 5 aufeinander folgenden Wochen.

Aufgrund der oben geschilderten Probleme mit unserer geographischen Randlage erreichen uns nur wenige Anrufe aus Schleswig-Holstein, i.d.R. aus dem Großraum Schwarzenbek. Unsere eigenen Kunden wissen, dass sie sich in plötzlich auftretenden lebensbedrohlichen Notfällen an eine Tierklinik auf der anderen Elbseite wenden müssen. In den Wochennächten hatten wir neben zeitraubenden und zum Teil sinnlosen Telefonaten jeweils 2-3 Patienten, die tatsächlich in der Praxis auftauchen. Die Hälfte der Leute kamen überraschenderweise aus Hamburg und Niedersachsen, was wir uns nur damit erklären können, dass der SH-Notdienst dort durch KollegInnen anscheinend besser beworben wird als bei uns. Wie nicht anders zu erwarten war, handelt es sich zu 90% um banale Nicht-Notfälle und verschleppte Euthanasien.

In Geesthacht gibt es 3 Kleintierpraxen und eine mobile Tierärztin. Tierbesitzer können unter der Woche bis 19.00 Uhr und am Samstag bis 16 Uhr reguläre Sprechstunden aufsuchen. So verwundert es uns nicht, dass nur im bisher einzigen Sonntagsdienst unserer Praxis immerhin 12 Patienten vorgestellt wurden. Obwohl wir versuchten, die Kunden in zwei Notfallsprechstunden am Vormittag und Abend zu kanalisieren, war auch dieser Dienst, mit zwei 12stündigen Inhaberinnen-Schichten und drei 8stündigen TFA-Schichten plus Ruhezeit für die Nacht-TFA am Montag, nicht kostendeckend.

Wir rechnen in den „Notfallsprechstunden“ (19.30-22 Uhr) in denen wir vor Ort in der Praxis sind zum 3-fachen, bei Abruf aus dem Bereitschaftsdienst den 4-fachen GOT-Satz ab.

Wir errechnen die realen Kosten für die Arbeitseinsätze und die Bereitschaftsdienste der TFAs. Für uns Tierärztinnen mit langjähriger Berufserfahrung wird nur Rufbereitschaft, analog den Regelungen nach TVöD (12,5% des Stundenlohnes) und bei Anwesenheit in der Praxis “Anwesenheit bei Veranstaltungen/GOT 40 2fach”, von den Notdienst-Nettoeinnahmen abgezogen, eher eine symbolische Aufwandsentschädigung als ein Unternehmerlohn. Unsere Ergebnis sende ich monatlich an die Tierärztekammer-SH. Im 1.Halbjahr 2022 wurde in unseren Notdiensten ein Minus von rund 6000,-€ „erwirtschaftet“.

Fazit von Christine Niemeyer:

Die Berufsordnung muss sofort geändert werden, damit alle Praxen gemäß Vollzeitäquivalenten aller beschäftigten TierärztInnen beteiligt werden.

Echte medizinische Notfälle können nur adäquat versorgt werden, wenn mindestens 1 TierärztIn mit TFA als Assistenz pro Schicht arbeitet. Dies ist auch aus haftungsrechtlichen Gründen anzuraten.

Wochentags sind Notdienste von 19-23 Uhr ausreichend.

An Wochenenden und Feiertagen wäre eine Einteilung in 2 Schichten von 8-16 Uhr und von 16-24 Uhr sinnvoll um Überlastung zu vermeiden.

24 Stunden Notdienste sind bei unter 6 Praxis-MitarbeiterInnen (3 TÄ +3 TFA) nicht gesetzeskonform realisierbar. Die Praxen müssen darüber hinaus am Tag vor und nach dem Notdienst im gedrosselten Betrieb mit reduziertem Personaleinsatz arbeiten.

Das Arbeitszeitgesetz gilt für abhängig Beschäftigte – ob es zum Schutz von Freiberuflern vor unrentablen 24stündigen Kammer-Zwangsnotdiensten analog anzuwenden ist, wird im Zweifelsfall das Bundesverfassungsgericht klären.

Stefanie Schmidtke, Schacht-Audorf:

Wir betreiben eine Kleintier-Gemeinschaftspraxis in Schacht-Audorf bei Rendsburg, geografisch fast genau in der Mitte Schleswig-Holsteins. Wir sind zwei Tierärztinnen, 2 Vollzeit-TFAs und mehrere TFAs in Teilzeit.

Bis zum Beginn des neuen Systems Anfang dieses Jahres hatten wir im Großraum Rendsburg-Eckernförde den Notdienst mit 5 Praxen in einem Rotations-System selbst organisiert. In diesem System war unsere Praxis jeden Dienstag eingeteilt und wir hatten ein- bis zweimal im Monat an einem Wochenende Dienst. Dieses System funktionierte durch große Kollegialität und Flexibilität der beteiligten Nachbarpraxen sehr gut. Die Probleme / Nachteile, die meine Vorschreiberin schildert, wie Vorstellung von „Nicht-Notfällen“ und das Führen zahlreicher oft sinnloser „Seelsorge-Telefonate“ hatten wir natürlich auch damals schon. Durch die Zwangsverpflichtung in das neue System sind wir nun in einen sehr viel größeren Notdienstbezirk mit ca. 20 Praxen eingebunden. Das hat natürlich den Vorteil, dass wir weniger häufig als vorher zum Dienst eingeteilt sind, was ich persönlich als Entlastung empfinde – mir ist aber auch bewusst, dass viele KollegInnen, die vorher an keinem organisierten Notdienst teilgenommen haben, die Einbindung in das neue System als starke zusätzliche Belastung wahrnehmen. Durch den vergrößerten Notdienstbezirk sind die Dienste auch v.a. an den Wochenenden anstrengender geworden mit 20 – 25 Patienten tagsüber und bis in die Nacht hinein. Das lässt sich nur mit Schichtarbeit der beiden Inhaberinnen und der TFAs bewältigen, wobei wir immer so planen müssen,  dass die Tierärztin und die TFA, die sonntagabends gearbeitet haben, am Montag zumindest vormittags frei haben.

Die Nächte versehe ich meist alleine ohne TFA im Hintergrund, da ich über der Praxis wohne und nach 2 Uhr morgens meist nichts mehr los ist. Telefonate und Bagatellfälle kann ich problemlos alleine bewältigen. Für alles Größere haben wir zum Glück mit der Tierklinik in Wasbek einen Maximalversorger in erreichbarer Nähe, mit dem wir sehr gut und kollegial zusammenarbeiten.

Es bleibt natürlich immer ein mulmiges Gefühl, wenn man nachts allein arbeitet, aber ich musste glücklicherweise noch keine schlechten Erfahrungen machen. Vor allem in den Wochennächten beschränkt sich der Nachtdienst meistens ohnehin auf „Telefon-Seelsorge“. Es ist erstaunlich, wie viele Tierbesitzer nur reden wollen, aber nicht bereit sind, in die Praxis zu kommen. Ich habe die Rentabilitätsrechnung für den Notdienst noch nicht aufgemacht, aber einer TFA Dienstbereitschaft für die Nächte, in denen meist gar nichts passiert, zu bezahlen, wäre mit Sicherheit unrentabel. Der Nachtdienst durch die Praxis-Inhaberin lässt sich auch nur durch die Bereitschaft zur Selbstausbeutung realisieren – und durch die Motivation, für die Tiere und ihre oft sehr dankbaren Besitzer da zu sein.

Fazit von Stefanie Schmidtke:

Die von Christine Niemeyer geschilderten Probleme, was die Rentabilität des Notdienstes angeht und v.a. auch die gesetzeskonforme Ausgestaltung der 24-Stunden-Dienste, sind alle richtig dargestellt. Die Berufsordnung muss schnellstmöglich geändert werden, damit die Dienste auf die Praxen entsprechend Tierarzt-Vollzeit-Äquivalenten aufgeteilt werden und nicht nur nach der Zahl der InhaberInnen. Dies wird von der Tierärztekammer auch gesehen und eine Änderung wird angestrebt. Die Probleme, die durch das Arbeitszeitgesetz und den allgemeinen Personalmangel entstehen, sind allgemein bekannt und lassen sich nicht so schnell lösen. So bleibt das Notdienstsystem verbesserungswürdig und würde ohne Selbstausbeutung der PraxisinhaberInnen kollabieren.

Der große Pluspunkt ist aber, dass es jetzt immerhin einen organisierten Notdienst gibt! In der Vergangenheit haben sich viele Kollegen leider ihrer Notdienstverpflichtung entzogen. Nun können die Tierbesitzer gewiss sein, dass sie über die neue zentrale Notdienst-Nummer immer einen Tierarzt erreichen. Das ist bei allen Schwächen des Systems ein großer Fortschritt. Für mich persönlich kommt hinzu, dass ich mich durch das neue System entlastet fühle. Die Arbeit im Notdienst ist, wenn auch oft stressig, im Großen und Ganzen angenehm. Sie ist abwechslungsreich, man weiß nie, was einen als nächstes erwartet und die meisten Kunden sind nett und sehr dankbar. So bekommt man viel zurück. Daher ist mein Fazit zum Notdienst positiv, vorausgesetzt, die nötigen Verbesserungen können bald umgesetzt werden.

Christine Niemeyer