Landesverband praktizierender Tierärztinnen und Tierärzte Niedersachsen und Bremen e.V.

Erfahrungsbericht über den Ablauf eines Notdienstes im Bundesland Sachsen-Anhalt ohne Tierklinik

Freitag, 17:59 Uhr

Gleich beginnt mein Bereitschaftsdienst für Kleintiere im Landkreis Jerichower Land. Ab heute 18 Uhr bis Montag früh um 8 Uhr bin ich für alle Kleintierhalter in unserem Landkreis (ca. 90000 Einwohner,  1577 qkm) im Notfall Ansprechpartner. Meine Anspannung steigt, nichts ist vorhersehbar. Wie an jedem Dienstwochenende kann alles passieren – OPs, Kaiserschnitte, Anrufe mitten in der Nacht oder auch ganz wenig. Das Diensttelefon ist eingeschaltet, der Akku zeigt 100%. Der Wochenenddienst beginnt nach einer arbeitsreichen Woche.

18:15 Uhr

Erster Anruf einer Tierhalterin, die Hündin hat seit 2 Tagen Durchfall, nun ist auch Erbrechen dazugekommen, der Allgemeinzustand ist reduziert. Wir verabreden uns für ein Treffen in der Praxis. Sie benötigt ca. 45 min bis sie da ist. Währenddessen ruft ein weiterer Tierhalter an. Der Kater zeigt Harnabsatzschwierigkeiten. Kater und Herrchen werden ebenfalls instruiert in die Praxis zu kommen. Schließlich rufe ich die für den heutigen Abend bis 22 Uhr zur Rufbereitschaft eingeteilten Tiermedizinische Fachangestellte an, um über unsere Patienten zu informieren.

Der Dienst wird als Rufbereitschaftsdienst durchgeführt. Die Tierhalter nehmen mit uns telefonisch Kontakt auf. Die Telefonnummer wird in der örtlichen Presse, auf unserer Facebook Seite sowie auf den diversen Websites der beteiligten Tierarztpraxen veröffentlicht. Derzeit sind wir 8 niedergelassene Kollegen im Landkreis, die sich an den Wochenenden von Freitag 18 Uhr bis Montag 8 Uhr und in der Woche im Dienst abwechseln. Jeder hat einen festen Wochentag. So bin ich jeden Dienstag der ungeraden Kalenderwoche ebenfalls von 18-8 Uhr dienstbereit.

Die erbrechende Hündin wird infundiert, der Kater bekommt einen Harnkatheter. Um kurz nach 21 Uhr bin ich wieder zu Hause. Ein weiterer Anruf erreicht mich um 23 Uhr: ein Schäferhund mit Magendrehung. Die Erstversorgung übernehme ich, dann muss ich den Patienten in die nächste, 130 km entfernte Kleintierklinik nach Leipzig zur operativen Versorgung überweisen. In Sachsen-Anhalt gibt es seit einigen Jahren keine Tierklinik mit durchgehendem 24-h Dienst. Arbeitszeitrechtliche und betriebswirtschaftliche Gründe führten zur Aufgabe des Klinikstatus der zwei Einrichtungen im Bundesland.

Der Samstag beginnt um 9 Uhr mit einer regulären Terminsprechstunde für unsere Klientel. Impfungen, Nachkontrollen und Termine für Tierhalter, für die es in der Woche schwierig ist, einen Termin wahrzunehmen. In dieser Zeit kommt der ein oder andere Notfallpatient dazu und wird ebenfalls versorgt. Bis zum Mittag sind alle Patienten versorgt, wir machen Pause. Die TMFA´s gehen nach Hause. Eine von ihnen ist zur Rufbereitschaft bis zum Abend eingeteilt.

Am späten Nachmittag werden ein Hund mit einer stark blutenden Schnittverletzung,  zwei  Katzen  (1x Fieber, 1x Erbrechen) vorgestellt und behandelt. Teilweise fahren die Hunde- und Katzenhalter 70 km bis zu unserer Praxis. Oftmals sind die Tierhalter erschrocken, wenn sie im Ersttelefonat erfahren, wie weit sie fahren müssen, um ihr Tier bei uns versorgen zu lassen. Letztendlich sind sie aber dankbar, einen Tierarzt gefunden zu haben.

Die Patienten, die bis zum Abend vorgestellt werden, versorge ich gemeinsam mit einer TMFA. Eine Ausweitung der Arbeitszeit der TMFA über 22 Uhr hinaus können wir nicht realisieren. Auch nicht jede Praxis in unserem Landkreis ist in der Lage, Assistenzpersonal für die Wochenenden bereitzuhalten. Oftmals stemmen die Kollegen die Dienste im Alleingang.

Der letzte Anruf erreicht mich nach 23 Uhr. Eine Züchterin meldet sich. Die Hündin ist seit dem Nachmittag in der Geburt, der letzte Welpe wurde vor mehr als vier Stunden geboren. Eine Geburtshilfe ist prinzipiell möglich in unserer Praxis. Aber da ich ab 22 Uhr keine TMFA mehr im Hintergrund habe, die mir bei einem möglichen Kaiserschnitt assistieren kann, muss ich der Züchterin sagen, dass ich in ihrem Fall leider nicht helfen kann und nenne ihr die Adressen und Telefonnummern der nächstgelegenen Universitätskliniken in Leipzig (130 km) oder Berlin (140 km). Auf dem Weg dorthin wird die Züchterin an keiner weiteren Tierklinik mit 24 h- Dienst vorbeifahren.

Sonntag 20:00 Uhr

Ich bin etwas platt. Nach 50 Stunden Rufbereitschaft, zahlreichen kranken Patienten  merke ich, wie meine Kondition nachlässt. Es steht noch die letzte der drei Nächte bevor und ich hoffe, dass die Patienten im Jerichower Land bis morgen früh gesund bleiben. Am Montag 8 Uhr kann ich das Diensttelefon wieder ausschalten. Der Wochenstart geht dann in die tägliche Routine mit einer gut gefüllten Terminsprechstunde von 8-12 und 15-18 Uhr über. Während es -zum Glück- für unsere angestellten Mitarbeiter ein Arbeitszeitgesetzt gibt, bin ich als selbstständige Tierärztin an keinerlei Arbeitszeitbestimmungen gebunden und versehe an jedem achten Wochenende diese zusätzliche Aufgabe des Rufbereitschaftsdienstes.

Als Tierärztin trage ich Verantwortung für meine Patienten und bin auch im Notfall erreichbar. Die Zusammenarbeit unter uns acht Kollegen im Landkreis funktioniert sehr gut. Bei der Dienstplanung werden die Wünsche der Kollegen berücksichtigt, kurzfristiger Diensttausch wegen Krankheit klappt. Trotzdem stellen diese Dienstwochenenden eine Herausforderung dar- physisch und physisch.

Meine Bilanz für dieses Wochenende: 60h Rufbereitschaft, davon 20h Arbeitszeit. Der Großteil der Patienten konnte in der Praxis versorgt werden, aber arbeitszeitliche Bestimmungen führen dazu, Patienten, die eigentlich im Normalfall bei uns versorgt werden könnten, zu überweisen. Eine Lösung für diese Probleme habe ich noch nicht gefunden, aber nun am Montag um kurz vor 8 Uhr macht sich Erleichterung breit, das Wochenende ist geschafft und für das kommende Wochenende ist ein Ausflug mit der Familie in den Harz geplant.