Landesverband praktizierender Tierärztinnen und Tierärzte Niedersachsen und Bremen e.V.

Ein krankes Tier als gesund bescheinigen, damit es noch versichert wird oder einen Lymphknoten chirurgisch bioptieren statt ihn zu punktieren, um die anschließende Chemotherapie als OP-Nachbehandlung zu deklarieren: Versicherungsbetrug hat viele Gesichter. Meist ist das Ziel dahinter, einem Tier eine Behandlung zu ermöglichen, die Tierhalter:innen sonst finanziell selbst nicht stemmen könnten. Es gibt jedoch durchaus auch Fälle, in denen sich Tierarztpraxen etwas (mehr) bereichern wollen, wenn der Zahlende eine Versicherungsgesellschaft und keine Privatperson ist. Die Folge: Höhere Beiträge für alle Versicherten, mehr Bürokratie in der Rechnungsabwicklung und – wenn es auffliegt – zivil- und strafrechtliche Sanktionen.

Wie jüngst die Bundestierärztekammer nach einer Initiative des Ausschusses für Pferde berichtete, gibt es zahlreiche Fälle, in denen für versicherte Tiere höhere Rechnungen gestellt wurden, als für vergleichbare Behandlungen bei nicht versicherten Tieren. Der Spielraum der GOT-Sätze wird in diesen Fällen also missbraucht, um Mehreinnahmen zu erzielen. 

Ich habe als Mitarbeiterin bei einer Versicherung jedoch durchaus noch kriminellere Ansätze erlebt: So erreichte mich eine anonyme Anzeige über einen Fall, in dem eine in einer Tierarztpraxis angestellte Person für Behandlungen an ihrem eigenen Hund Rechnungen im drei- bis vierstelligen Bereich erstellte – diese Eingriffe hatten allerdings niemals stattgefunden. Dass ein solches Vorgehen ernsthafte Konsequenzen für die Täter:innen haben kann, zeigt ein Fall, der vor einigen Jahren durch die Medien ging. Eine Tierärztin machte dabei mit ihren Kund:innen gemeinsame Sache und übermittelte überteuerte Rechnungen an mehrere Tierversicherungen, rechnete nicht durchgeführte Behandlungen sowie sogar Behandlungen nichtexistenter Tiere ab. Angeblich geschah dies, um von dem so gewonnenen Geld anderen Tieren zu helfen. Verurteilt wurde sie trotzdem.

Den Hunden und Katzen zu helfen, darum geht es vermutlich den meisten Praktizierenden, die eine Versicherung „austricksen“. Oft bitten meiner Erfahrung nach die Tierhaltenden darum, beispielsweise das Datum in einer Akte anzupassen, damit die Diagnose Kreuzbandriss erst nach der entsprechenden Wartezeit gestellt wurde und somit auch die Operation gezahlt wird. Möglicherweise ist den Beteiligten gar nicht klar, dass sie damit den Tatbestand des Versicherungsbetruges erfüllen. Laut §263 StGB, Absatz 1, gilt: Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 

Grundsätzlich sind die Methoden, eine Behandlung doch durch einen OP-Tarif abdeckbar zu machen, mitunter so „kreativ“, dass meiner Ansicht noch ein weiteres Gesetz verletzt wird: Wird beispielsweise ein Eingriff unter Narkose durchgeführt oder ein Schnitt gesetzt und genäht, obwohl dies medizinisch nicht nötig wäre, ist das meiner Ansicht nach ein sinnloses Gesundheitsrisiko für den Vierbeiner und somit tierschutzrelevant.

Ich nehme an, die meisten Kolleginnen und Kollegen, die eine solche Entscheidung treffen, tun dies im Sinne des Tieres, das ihnen wichtiger ist, als der Umsatz eines Versicherungsunternehmens. Aber diese Rechnung geht meiner Ansicht nach nicht auf. Natürlich ist eine Versicherung ein Wirtschaftsunternehmen und muss Gelder einnehmen, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten und – das ist sicher kein Geheimnis – auch Gewinne zu machen. Eine Tierkrankenversicherung hat es dabei meiner Meinung nach besonders schwer, denn es handelt sich nicht um eine klassische Risikoversicherung wie beispielsweise bei einem Brandschutz-Tarif. Dass das Haus wirklich einmal brennt, kommt – hoffentlich – deutlich seltener vor als ein Tierarztbesuch. Selbst gesunde Hunde und Katzen besuchen idealerweise mindestens einmal jährlich eine Praxis. Viel häufiger werden daher die Beiträge, die eingezahlt werden, zumindest teilweise auch tatsächlich wieder ausgezahlt.

Und genau das sind Gründe, warum Versicherungen mit Ausschlüssen oder Deckelungen arbeiten und warum beispielsweise in den günstigeren OP-Tarifen – je nach Versicherer – eben nicht alle Eingriffe in Narkose und die gesamte präoperative Diagnostik unbegrenzt und unabhängig vom Zeitpunkt übernommen werden. Und es ist der Grund, warum im Zuge der GOT-Erhöhung und der damit verbundenen Sensibilisierung der Praktizierenden für eine korrekte Abrechnung auch die Versicherungsbeiträge steigen mussten und weiter müssen, wenn die Versicherungssummen – wie oft gewünscht – höher ausfallen und weitere Leistungen und Services integriert werden sollen.

Das macht mir als Tierärztin Bauchschmerzen, denn so sehr ich mir wünsche, dass mehr Tiere versichert sind, desto eher kann ich nachvollziehen, wenn Beiträge nicht mehr tragbar sind. Andererseits denke ich mir natürlich, wenn ich ein Haustier halten möchte und bereits diesen Beitrag nicht zahlen kann, dann sollte ich mich fragen, ob ich die Verantwortung für ein Lebewesen, das Futter, Ausstattung, Training und eben auch eine gute medizinische Versorgung benötigt, überhaupt übernehmen sollte.

Umso unglücklicher macht es mich daher, wenn ich von den oben genannten Fällen des Versicherungsbetruges höre. Denn die Konsequenzen sind mittel- und langfristig nicht nur höhere Beiträge oder eingeschränkte Versicherungsleistungen – und somit ein großer Schaden für die bestehende Versicherungsgemeinschaft sowie eine höhere Hürde, Welpen und Kitten zu versichern. Hinzu kommt auch, dass das Vertrauen der Versicherer gegenüber Tierarztpraxen sinkt, mehr Prüfungen und Abfragen durchgeführt werden müssen und somit die bürokratischen Prozesse – die Versicherern wie tierärztlichem Fachpersonal viel Zeit und Nerven kosten – komplizierter werden. Und das kann doch keiner wollen, oder?

Ich wünsche mir so sehr, dass mehr Tiere in Deutschland versichert sind – zum einen, damit jederzeit eine gute medizinische Versorgung für die Geschützen gesichert ist, aber zum anderen auch damit die Versicherungsgemeinschaft wächst und dadurch das Verhältnis von Beiträgen und Kosten ausgewogener wird, damit langfristig die Beiträge stabiler und idealerweise auch wieder niedriger werden können.

Melanie Müller
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