Meisterinnen des Alltags – Tierärztinnen zwischen Praxis- und Familienorganisation
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Wie erkenne und reduziere ich meinen Mental Load
Tierärztinnen haben vielfältige Aufgaben in ihrem beruflichen Alltag, die es zu bewältigen gilt. Sie versuchen ihr fachliches Wissen aktuell zu halten, um ihren Patienten die bestmögliche Behandlung bieten zu können. Sie treffen schwierige Entscheidungen und müssen diese vor sich selbst, dem Kollegium oder der Kundschaft rechtfertigen. Daneben gibt es eine Vielzahl von administrativen Herausforderungen, ob es sich nun um Buchhaltung, Personalmanagement oder Terminplanung handelt.
Glücklicherweise ist es bei vielen Kolleginnen angekommen, dass mentale Gesundheit kein Selbstläufer ist, sondern etwas, dass es sich zu erarbeiten und zu erhalten gilt. Und immer mehr Chefinnen haben erkannt, dass gesunde und glückliche Mitarbeiterinnen leistungsfähiger, und ein langfristiges Arbeitsverhältnis und ein zufriedenes Team wichtige Voraussetzungen für gute Gewinne und ausgeglichene Work-Life-Balance sind.
Zusätzlich zur beruflichen Herausforderung stemmen viele Tierärztinnen parallel auch noch ein hohes Maß an familiären Verpflichtungen. Sie sind zuständig für eine Menge an Care-Arbeit. Darunter versteht man grob zusammengefasst die unbezahlte Hausarbeit und das Kümmern um Familienangehörige. Das Erstellen von Einkaufslisten, Waschen, Kochen, Aufräumen, Kinder- oder Altenpflege. Wer kümmert sich außerdem um die Geburtstagsgeschenke für Kinder, Mütter, Omas? Wer organisiert Feiern, erstellt Einladungskarten und überlegt sich, welche Spielkameraden wann für die Kinder vorbeikommen könnten? Wer hat alle Adressen und Telefonnummern von Verwandten und Freunden? Wer verwaltet den Familienkalender? Von diesem Berg an Aufgaben sind nicht nur Mütter betroffen, auch ohne Kinder gibt es eine Menge zu organisieren und zu tun. Hier kommt der Begriff Mental Load ins Spiel. Die mentale Belastung, an alle Familienangelegenheiten zu denken, die Care-Arbeit und Familien-Organisation betreffen, ist enorm. Es geht um den Job, den keiner sieht und keiner bezahlt. Mit Selbstverständlichkeit übernehmen in den meisten Familien Frauen all diese Aufgaben, zusätzlich zu ihrer bezahlten Arbeit. Eine wirkliche Fair-Teilung gibt es nur selten. Teilweise ist das unserer Erziehung zu verdanken, in der oft noch traditionelle Rollenbilder Einfluss nehmen. Gleichermaßen wurde uns die beschriebene Aufgabenverteilung von unseren Müttern und Vätern vorgelebt. Andererseits mangelt es derzeit auch an politischem Willen, notwendige Strukturen und Möglichkeiten im Sinne der Gleichstellung von Eltern (Stickwort flexible Kinderbetreuung) zu fördern.
Studien über die mentalen Belastungen von amerikanischen Tierärztinnen haben gezeigt, dass der Mental Load bei vielen Frauen zu erhöhtem Stress bis hin zu einer größeren Gefahr von Burn-out oder Depressionen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen führt. Sie haben das Gefühl, sie schaffen es nicht, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Sie fühlen sich in ihrer Rolle gefangen und sehen keinen Ausweg. Aber es gibt Möglichkeiten, den Mental Load zu verringern. Ein paar Beispiele, die uns dabei helfen können:
- Erkenne deine eigenen Bedürfnisse, verschaffe dir Pausen vom Alltag. Meditation, Sport oder Hobbies helfen dir dein eigenes Wohlbefinden zu verbessern.
- Flexible Arbeitsmöglichkeiten können helfen, Familienarbeit besser zu verteilen (hier sind ausdrücklich auch die Partner aufgefordert sich einzubringen, und natürlich die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, für Verbesserungen zu sorgen)
- Netzwerke nutzen, Unterstützung erbitten und annehmen
- Austausch mit Tierärztinnen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, oder vielleicht sogar schon Auswege gefunden haben; nicht jede muss das Rad neu erfinden
- Mental Health Training und Mentale Ersthelfer in den Praxen helfen, Probleme zu identifizieren und können gezielt Hilfen anbieten (Nähere Informationen gibt es u.a. von der Berufsgenossenschaft BGW)
- Schraube deinen eigenen Perfektionismus zurück; Du musst nicht alles selber machen. Dein Weg muss nicht der einzige sein, der zum Ziel führt
- Führt einen (digitalen) Familienkalender, dann kann jeder auf einen Blick sehen, was für ihn ansteht; setzt euch einmal in der Woche zusammen und plant, was in der kommenden Woche wichtig ist und wer für was zuständig ist
- Binde alle Familienmitglieder entsprechend ihren Möglichkeiten mit in die Hausarbeit ein
- Pausen machen; der Kopf braucht (Denk-)Pausen, wie der Körper Wasser zum Leben. Und wenn man sich nur kurz mit seiner Tasse Kaffee vor die Tür begibt um ein paar Sonnenstrahlen und das Vogelzwitschern zu genießen und ein paar Sekunden abzuschalten
Das ist nur ein kurzer Überblick über die Herausforderung, sich Mental Load als „unsichtbare“ Arbeit bewusst zu machen und in Zukunft fairer zu verteilen. Wer noch tiefer in die Thematik einsteigen will, findet eine Vielzahl an Literatur und Veröffentlichungen im Internet. Das Buch „Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für Alles“ von Laura Fröhlich gibt ebenfalls einen guten Einblick in die Thematik.
Dieser Beitrag verwendet ausschließlich die weibliche Form, selbstverständlich dürfen sich hier auch Tierärzte angesprochen fühlen, ihren Mental Load zu erkennen und zu verringern.