Landesverband praktizierender Tierärztinnen und Tierärzte Niedersachsen und Bremen e.V.

Tierschutzorganisationen decken regelmäßig Tierschutzskandale in der Haltung, dem Transport oder auch der Schlachtung von Nutztieren auf.

Im Jahr 2018 hat das Oberlandesgericht Naumburg in einem Fall sogar einen “rechtfertigenden Notstand” erkannt und „Stall-Friedensbruch“ legalisiert. “Wir alle sollten froh sein“, sagte der Richter, “dass die Angeklagten die Missstände aufgedeckt haben.”

Von „Behördenversagen“ war in dem oben genannten Gerichtsurteil die Rede. Und die betreuenden Hof-Tierärzte in dem Bestand mit 60 000 Schweinen -hatten die die rosarote Brille auf?

Leider geht es nicht nur um diesen Einzelfall! Gemäß dem Ethik-Kodex der Tierärztinnen und Tierärzte Deutschlands „verpflichten wir uns, mit unseren fachlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in besonderer Weise zum Schutz und zur Sicherung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Tiere beizutragen“,„stellen  das Wohl des Tieres über unseren beruflichen Ehrgeiz“ und „unterstützen die Tierhalter in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung gegenüber dem Tier“. Bei diesen hehren Ansprüchen fällt es schwer, die bei fast jedem Skandal festzustellende Ahnungslosigkeit von uns Tierärzten zu erklären.

Vor dieser Ausgangslage kamen im Oktober 2021 der Vorstand der Tierärztekammer Niedersachsen, der bpt-Landesverband Niedersachsen-Bremen und der VbT (Landesverband der angestellten und beamteten Tierärzte) zusammen, um diese Thematik zu besprechen.

Wie kommt es zu einer solchen Diskrepanz zwischen dem eigenen Anspruch des Berufsstands und der (vermeintlichen?) Realität im tierärztlichen Berufsalltag?

Was muss, was kann und was sollte geschehen, damit Tierärzte mehr zum Wohlbefinden der Tiere beitragen und skandalösen Entgleisungen vorbeugen, sie ggf. erkennen und nötigenfalls dagegen einschreiten?  

Bei allen Unterschieden je nach tierärztlicher Tätigkeit und Funktion war man sich sehr schnell einig, dass Missstände nur durch enge Kooperation zwischen Amt und Praxis früh erkannt und ihnen nur so zeitnah und effektiv entgegengewirkt werden könne. So entstand die Idee einer Vortragsveranstaltung Tierschutz im Stall – haben Tierärzte die rosarote Brille auf?

Ursprünglich war eine Präsenzveranstaltung vorgesehen, die viel Gelegenheit für den direkten Erfahrungsaustausch bieten sollte. Aus den bekannten Gründen musste dann jedoch auf ein Online-Format umorganisiert werden. Vorteil dieses Formats: Beim Medienverlag George & Oslage (Akademie.vet) können die Vorträge auch jetzt noch als Webinar abgerufen werden. Von der ATF sind dafür 4 Fortbildungsstunden zuerkannt worden. Und weil die initiierenden Verbände die Veranstaltung aus ihren Budgets unterstützt haben, konnte die Teilnahmegebühr mit 49,95 € sehr  moderat kalkuliert werden.

Die Resonanz war großartig! Zum Live-Vortragstermin am 23.03.2022 gab es etwa 260 Anmeldungen und über 200 tatsächlich teilnehmende Kolleginnen und Kollegen, die zu etwa gleichen Anteilen dem Veterinärdienst und der Praxis zuzuordnen waren.

Beispielhaft gab es Praxisvorträge zur Beurteilung von Krankheitsfällen bei Schweinen und über tierschutzrelevante Beobachtungen in Rinderhaltungen. Anschließend wurde die Problematik aus der Sicht des Landvolkverbandes (Bauernverbands) beleuchtet. Schlachthofbefunde amtlicher Tierärzte, die deutliche Hinweise auf tierschutzrelevante Missstände beweisen, wurden in einem weiteren Vortrag dargestellt. Das Schlussreferat gab Einblicke in die juristische Beurteilung von Tierschutzverstößen von der zuständigen Schwerpunktstaatsanwaltschaft.

Die Diskussion drehte sich immer wieder darum, wie problematisch es sei, Tierschutzmängel gegenüber den Tierhaltern anzusprechen. Es gab auch Eingeständnisse, dass eine vermehrte Wachsamkeit gegen „Betriebsblindheit“ und Gewöhnung an die „Haltungsunzulänglichkeiten“ im Praxisalltag gefordert ist.

In der Nutztierpraxis gibt es immer weniger aber dafür ökonomisch umso relevantere Tierhaltungen. Oft bestehen langjährige, persönliche Beziehungen zu der Tierhalter-Familie. Kann man es sich leisten, einen umsatzstarken Kunden zu verprellen und dadurch potentiell sogar weitere Höfe zu verlieren?

Andererseits gab es auch den Hinweis, dass Tiergesundheit und tiergerechte Haltung immer wichtigere Wirtschaftlichkeitsparameter in der Tierproduktion darstellen und sich noch mehr dazu entwickeln werden. Die Beratung und Begleitung der Betriebe hinsichtlich der Tierschutzaspekte muss somit als Teil einer zeitgemäßen Bestandsbetreuung betrachtet werden.

Dazu bedarf es nicht allein theoretischer und philosophisch-ethischer Betrachtungen, sondern auch praktischer Handlungsoptionen:

Die Beiträge dieser Veranstaltung zielten darauf ab, zu sensibilisieren. Es ist angedacht, in einer Folgeveranstaltung genau diese praktischen Umsetzungsoptionen näher zu thematisieren.

Tierschutz im Stall – haben Tierärzte die rosarote Brille auf ?

Prof. Dr. Elisabeth große Beilage
Schwer kranke Schweine – weiter behandeln oder töten?

Dr. Uta Seiwald
Beobachtungen in der Rinderpraxis

Dr. Wiebke Scheer
Was ist zu tun aus Sicht des Landvolks (Landesbauernverband e.V.)?

Dr. Paul Morthorst / Dr. Kathrin Balzer
Amtliche Schlachttier- und Fleischuntersuchung beim Rind. Feststellungen und Rückschlüsse auf Haltungsbedingungen

StA Bernhard Lucks
Strafrechtliche Bewertung der Arbeits- und Verhaltensweise der Landwirte, Viehhandelsunternehmen, Viehtransportfahrer, praktischen Tierärzte und Amtstierärzte unter Berücksichtigung der veränderten Wahrnehmung des Tierwohls durch die Gesellschaft und die Justiz.

Die Vorträge können bei der www.akademie.vet unter https://shop.akademie.vet/shop/product/tierschutz-im-stall-haben-tierarzte-die-rosarote-brille-auf-538    gebucht werden!

Dr. Michael Drees