Landesverband praktizierender Tierärztinnen und Tierärzte Niedersachsen und Bremen e.V.

„War das jetzt die richtige Entscheidung? Vielleicht hätte ich doch lieber noch etwas anderes ausprobieren sollen …?!“ Selbstzweifel im hektischen und anspruchsvollen Praxisalltag kennt jeder. „Ich ruf‘ einfach nochmal die Chefin an und frage nach. Oder vielleicht lieber doch nicht. Ich sollte das schließlich wirklich wissen.“ Die Sorge davor, Fehler zu machen und dafür von den Vorgesetzten oder dem Kollegium ein mit Augenrollen geschmücktes „Ach komm schon. Anfängerfehler. Das solltest du besser wissen.“ zu kassieren, vielleicht auch.

Selbstzweifel sind – vor allem im Berufseinstieg – absolut normal und können sogar hilfreich sein, um die eigenen Entscheidungen kritisch zu hinterfragen. Sie können uns motivieren aus Fehlern zu lernen, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Wenn die Gedankenspirale aus Sorgen, Zweifeln und Ängsten jedoch außer Kontrolle gerät, kann das ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehen. Das sogenannte Imposter-Syndrom (dt.: Hochstapler-Syndrom) beschreibt hierbei das Gefühl, bezüglich der eigenen Fähigkeiten hochgestapelt zu haben. Die Folgen sind Ängsten, dass den Kolleg*innen oder Vorgesetzten schon bald aufgehen wird, dass man selbst eigentlich nicht ausreichend kompetent für die eigene Tätigkeit ist. Man hätte sich ja eigentlich doch nur irgendwie durchgemogelt, eine gehörige Portion Glück gehabt und besitzt die tatsächlich notwendigen Fähigkeiten gar nicht.

Insbesondere Perfektionisten sind besonders empfänglich für die Entwicklung eines Imposter-Syndroms. Eine hohe Erwartungshaltung an die eigene Person und ständige Selbst-Kritik sind optimale Nährböden für nagende und langanhaltende Selbstzweifel. Gerade Tierärztinnen und Tierärzte können hiervon betroffen sein, da bereits bei der Studienzulassung nach leistungsstarken und -bereiten Personen selektiert wird, um deren Anspruchshaltung an die eigene Leistung während eines sehr intensiven Studiums noch zu befeuern. Beim Imposter-Syndrome können Behandlungsfehler ungeachtet ihres Ausmaßes, von kleinsten Missgeschicken ohne Konsequenzen bis hin zu einem lebensbedrohlichen Fehler, langanhaltende Schuld- und Schamgefühle in Tierärzt*innen auslösen und unter Umständen sogar zu Depressionen oder Burn-Out führen.

In der tiermedizinischen Gemeinschaft sind vor allem Berufseinsteigende und Frauen vom Imposter-Syndrome betroffen. Berufseinsteigenden kommen frisch aus einem Studiengang mit großem Fokus auf theoretischen Inhalten und wenig Praxisübungen. Als wäre ihnen das nicht schon bewusst genug, wird es ihnen stellenweise leider immer noch von erfahreneren Kolleg*innen vorgehalten. Doch auch wenn hier ein Umdenken in der Branche stattfindet, wundert es nicht, dass Frischabsolvierte nicht voller Selbstbewusstsein in ihre erste kurative Tätigkeit marschieren. Und obwohl Selbstzweifel und Ängste grundsätzlich nicht zwischen den Geschlechtern unterscheiden, so leisten gesellschaftliche Normen und eine auf Zurückhaltung fokussierte Sozialisierung von Frauen einen relevanten Beitrag dazu, dass Frauen eher zu einem unrealistischeren und unqualifizierteren Selbstbild neigen als Männer.

Wie kann man seinen inneren „Hochstapler“ nun im Zaun halten? Damit der Gedankenstrudel aus Zweifeln und Schamgefühlen nicht die Überhand gewinnt, ist Kommunikation der Schlüssel. Das Zugeben von Fehlern und der Austausch über Zweifel mit dem Praxisteam, sowie Freund*innen und Familie ist eine wichtige emotionale Unterstützung. Wenn man Anderen vom Selbst-Erlebten und den eigenen Gedanken dazu erzählt, kann man leichter deren Perspektive einnehmen und sich selbst aus der Sicht eines Anderen betrachten. Hier kann man sich dann die Frage stellen, ob es gerechtfertigt ist, derart streng mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Denn das Wichtigste ist, wenn man sich mit dem Imposter-Syndrom identifiziert, dass man sich dafür keine Schuld aufbürdet. Man ist deswegen nicht „weniger hart im nehmen“ oder sonst „schwach“. Man begibt sich eben aus seiner Komfortzone heraus und das kann gruselig sein. Das macht aber nichts, denn so ging es jedem schon einmal.

Auf der anderen Seite ist es genauso wichtig als Vorgesetzte für eine offene und sichere Atmosphäre in der Praxis zu sorgen. Wer sich für seine Mitarbeiter*innen interessiert und ihren Einsatz sieht und wertschätzt, hilft maßgeblich dabei eine Praxis-Gemeinschaft aufzubauen, in dem es jeder Person leichter fällt sich zu öffnen und schwierige Fälle oder Situationen anzusprechen. Gerade für Berufseinsteigende ist es wertvoll zu wissen, dass sie Vorgesetzte oder Kolleg*innen im Zweifelsfall immer telefonisch erreichen können und, dass ihnen auch vermeintlich simple Rückfragen nicht krummgenommen werden. Gerade zu Beginn der Berufstätigkeit kann und muss man nicht alles können. Reflexionsgespräche, um komplizierte Fälle aufzuarbeiten und gemeinsam Differentialdiagnosen zu erarbeiten sind ebenso hilfreich und tragen dazu bei, dass Berufseinsteigende resilienter mit fachlichen Herausforderungen und etwaigen Behandlungsfehlern umgehen können. Diese Punkte könnten Inhalte einer angemessen langen und strukturierten Einarbeitungszeit sein. Darüber hinaus können z.B. wöchentliche Teammeetings auch erfahrenen Tierärzt*innen des Teams eine Plattform zum Austauschen und für konstruktives Feedback bieten. So kann der moralische Stress, ausgelöst durch unsichere oder schwerwiegende Entscheidungen, im Team abgefangen und gelindert werden.   

Es bleibt festzustellen: Niemand ist perfekt und Fehler können vorkommen. In einem herausfordernden Umfeld wie der kurativen Tiermedizin ist eine offene Kommunikation und Wertschätzung untereinander daher noch wichtiger, um einen resilienten Berufsstand und hochwertige Medizin zu gewährleisten.

Kim Usko