Ein Blick über den tiermedizinischen Tellerrand in die Humanmedizin.
Die digitale Transformation ist ein unaufhaltsamer Prozess, der verschiedene Sektoren der Gesellschaft durchdringt, einschließlich der medizinischen und tiermedizinischen Praxis. Während eines durch den Landesverband praktizierender Tierärzte Westfalen-Lippe angeregten Besuchs in der dipraxis in Dortmund, einer Initiative der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), konnte ich tiefere Einblicke in die Fortschritte und Herausforderungen der Digitalisierung in der Humanmedizin gewinnen. Diese Erkenntnisse sind besonders wertvoll, da die Humanmedizin in einigen Bereichen der Digitalisierung der Tierärzteschaft voraus ist.
Größerer Markt und straffere Infrastruktur
Eines ist klar: Der größere Markt der Humanmedizin zieht mehr Investitionen und schnellere technologische Fortschritte an. Die dort vorhandene Infrastruktur, darunter genormte Abrechnungssysteme und Datenflüsse, schafft eine solide Grundlage für effiziente digitale Lösungen. Dies ermöglicht eine nahtlose Integration in den Alltag der medizinischen Praxen und könnte ein Vorbild für die Tiermedizin sein.
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der regulatorische Rahmen. Gesetzliche Regulierungen, insbesondere im Bereich des Datenaustausches und -transfers, sind in der Humanmedizin oft strenger und detaillierter ausgearbeitet, was einerseits Herausforderungen, andererseits aber auch Klarheit für die Einführung neuer Technologien schafft. Dies bietet Sicherheit, stellt aber auch eine Hürde dar, die in der Tiermedizin weniger ausgeprägt ist. Hier könnten wir Tierärzte von einer schnelleren Umsetzung profitieren, indem wir innovative digitale Lösungen agiler integrieren.
Digitale Dienste und Tools
In der dipraxis wurden zahlreiche digitale Tools vorgestellt, die das Potential haben, die Arbeitsweise in medizinischen Einrichtungen grundlegend zu verändern. Dazu gehören Online-Termine, Telemedizin, Künstliche Intelligenz, Wearables (kleine Computersysteme, die direkt am Körper getragen werden z.B. Fitness-Tracker; Anm. d. Red.) und elektronische Patientenakten. Diese Tools bieten nicht nur Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen, sondern verbessern auch die Patientenbetreuung durch schnelleren Zugriff auf relevante Informationen und vereinfachte Prozesse. Einige dieser Werkzeuge umfassen sichere Online-Dienste für den Datenaustausch, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) und ein fortschrittliches Praxisverwaltungssystem, das die Integration und Kommunikation zwischen verschiedenen medizinischen Systemen ermöglicht.
Beispiel: Sichere Online-Dienste
Es stehen Systeme zur Verfügung, die es ermöglichen, Dateien sicher zu übermitteln, Daten zu dokumentieren und auf Praxisunterlagen zuzugreifen. Ein Beispiel hierfür ist der Dienst „KV-Connect“, der es Ärzt:innen erlaubt, aus ihrem Praxisverwaltungssystem heraus sicher Dokumente und Informationen zu versenden und zu empfangen. Langfristig wird KV-Connect durch den Kommunikationsdienst KIM ersetzt, der eine noch umfassendere und sicherere Kommunikation im medizinischen Bereich ermöglichen soll.
Beispiel: Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)
Digitale Gesundheitsanwendungen, kurz DiGAs, sind medizinische Apps, die auf Smartphones, Tablets oder im Webbrowser laufen und von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen verschrieben werden können. Diese Apps basieren auf dem Digitalen-Versorgung-Gesetz und bieten therapeutische Funktionen zur Unterstützung von Behandlungen oder zur Krankheitskontrolle. Sie umfassen eine Reihe von Anwendungen, die speziell für verschiedene Patientenbedürfnisse entwickelt wurden, wie z.B. Anwendungen zur Schlafverbesserung oder zur Unterstützung bei chronischen Erkrankungen.
Beispiel: Praxisverwaltungssysteme (PVS)
Die vorgestellten Praxisverwaltungssysteme der KVWL ermöglichen eine effiziente Verwaltung medizinischer und administrativer Aufgaben in der Praxis. Es unterstützt bei der Abrechnung, der Diagnosecodierung und vielen weiteren täglichen Aufgaben, die in einer modernen Praxis anfallen. Das System ist so konzipiert, dass es die Integration verschiedener Dienste und Anwendungen unterstützt, um eine umfassende, nahtlose und effiziente Praxisführung zu ermöglichen.
Diese digitalen Werkzeuge bieten erhebliche Vorteile für die Effizienz und Qualität der medizinischen Versorgung und ihre Einführung in Tierarztpraxen könnte ähnlich transformative Effekte haben, wie sie in der Humanmedizin beobachtet werden. Durch die Nutzung solcher Technologien könnten Tierarztpraxen ihre Prozesse optimieren, die Patientenversorgung verbessern und letztlich Zeit und Ressourcen sparen.
Inspiration und mögliche Übertragungen
Für Tierärztinnen und Tierärzte bietet der Einblick in die Humanmedizin eine wertvolle Inspirationsquelle. Trotz der Unterschiede in den regulatorischen Rahmenbedingungen gibt es viele Parallelen in den Herausforderungen und Zielen beider Bereiche. Tierarztpraxen könnten von weniger strikten Vorschriften profitieren, indem sie schneller innovative Lösungen testen und implementieren. Darüber hinaus könnte die Zusammenarbeit und der Wissensaustausch zwischen den Disziplinen beider Medizinrichtungen gefördert werden, um voneinander zu lernen und gemeinsame Fortschritte in der digitalen Transformation zu erzielen. Eine Idee wäre beispielsweise der Aufbau eines einheitlichen Diagnoseschlüssels, wie er in der Humanmedizin bereits vorhanden ist, denn erst dieser ermöglicht eine einheitliche Dokumentation und Informationsaustausch.
Der Besuch der dipraxis hat für mich nicht nur bestehende Technologien beleuchtet, sondern auch die Türen für zukünftige Innovationen geöffnet. Für uns Tierärzt:innen ist es essentiell, über den Tellerrand hinaus zu blicken und uns von den Fortschritten in der Humanmedizin inspirieren zu lassen. In einer Welt, die immer stärker vernetzt ist, wird die Bereitschaft zur Adaption und zum lebenslangen Lernen zunehmend zum Schlüssel zum Erfolg in jeder medizinischen Disziplin.
Die Digitalisierung in der Tiermedizin ist nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine Notwendigkeit, die uns ermöglicht, die Betreuung unserer tierischen Patienten zu verbessern und unsere Praxen effizienter zu gestalten. Der Austausch und die Inspiration durch die Humanmedizin sind dabei wertvolle Ressourcen, die wir nutzen sollten.